Unter dem Titel „Familie und Bildung: Schulischer und beruflicher Aufstieg von Migranten – Gleiche Chancen?“ stand die Lesung und die anschließende Podiumsdiskussion am 07. November mit etwa 70 ZuhörerInnen und Mitdiskutanten anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Alevitischen Gemeinde Dortmund im Stadtteil Eving.

Die zweistündige Veranstaltung war die dritte Veranstaltung einer Veranstaltungsreihe unter dem Motto „Nah am Menschen, nah an der Gesellschaft“ mit verschiedenen Themenschwerpunkten innerhalb der Jubiläumswoche. Der Grundtenor aller Veranstaltungen ist die Partizipation der Aleviten in Dortmund und das friedliche Miteinander in der Stadtgesellschaft, in der Mehrheitsgesellschaft.

Mit einem der wichtigsten Weisheiten der alevitischen Lehre vom Heiligen Hünkar Bektas-i Veli aus dem 13. Jahrhundert „Ilimden gidilmeyen yolun sonu karanliktir“ – „Der Weg, der nicht über die Wissenschaft geht, führt in die Finsternis“ hat die Moderatorin, Güldilek Köylüoglu, in die Veranstaltung zum Themenschwerpunkt „Familie und Bildung“ eingeführt. Sie betonte, dass für die anatolischen Aleviten Bildung – vor allem die von Frauen – schon seit seiner Gründung ein sehr wichtiges Anliegen ist und dies auch in der Alevitischen Gemeinde Dortmund durch viele erfolgreiche Initiativen abgebildet werden kann.

„Auch Alis werden Professor: Vom Gastarbeiterkind zum Hochschullehrer“ lautet der Titel des Buches von Prof. Ahmet Toprak, den die Alevitische Gemeinde Dortmund für die einführende Lesung zur Veranstaltung gewinnen konnte. Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften von der Fachhochschule Dortmund las aus seiner Autobiographie, die den Zeitraum von seiner Geburt in einem kurdisch-alevitischen Dorf in Zentralanatolien bis in die Gegenwart in Dortmund aufzeigt. Das Publikum hatte die Möglichkeit, diesen bemerkenswerten Bildungsaufstieg in unterschiedlichen Welten vom Protagonisten selbst zu hören und auch Fragen zu stellen.

Nach einer guten Stunde läutete Güldilek Köylüoglu den zweiten Programmpunkt, die Podiumsdiskussion ein. Sie informierte über das Format der Podiumsdiskussion und stellte die weiteren TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion vor. Sie weist darauf hin, dass die Alevitische Gemeinde Dortmund sich bemüht habe, möglichst verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen (Wissenschaft, Politik, Öffentlichkeit, Schule). Zweck des Formates sei auch, eine Mitdiskussion aus dem Publikum zu ermöglichen. An der Podiumsdiskussion zur Fragestellung „Gleiche Chancen?“ und zu den Aufstiegsmöglichkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund nahmen neben Prof. Ahmet Toprak, auch Daniela Schneckenburger, Schul- und Jugenddezernentin der Stadt Dortmund und Melek Yildiz, Studienrätin und Lehrbeauftragte der Pädagogischen Hochschule Weingarten teil.

Die Dezernentin für Bildung der Stadt Dortmund, Daniela Schneckenburger, hat die verschiedenen Bemühungen und Initiativen zur Verbesserung der Bildungssituation von bildungsbenachteiligten Menschen, vor allem Menschen mit Migrationshintergrund der Stadt Dortmund hervorgehoben. Erfahrungsgemäß und statistisch gesehen hätten die vermeintlich benachteiligten Stadtteile nicht die schlechtesten Schulen und die vermeintlich besseren Stadtteile nicht die besten Schulen. Im Gegenteil, in Dortmund sei z.B. eine der pädagogisch hervorragend aufgestellten weiterführenden Schulen im Dortmunder Norden. Die Haltung einer Schule sei ausschlaggebend gerade für die Kinder, denen der Bildungszugang nicht in die Wiege gelegt ist. Die Schule müsse ermutigen, Chancen offenlassen, individuelle Potenziale entdecken, entwickeln und mithelfen. „Ich unterrichte kein Fach, ich unterrichte ein Kind“ – diese Grundhaltung wünsche sie sich für Deutschland.

In der Podiumsdiskussion machte der Erziehungswissenschaftler Prof. Ahmet Toprak auf den Unterschied zwischen „Bildungsferne“ und „Bildungsbenachteiligung“ aufmerksam und bestand darauf, in dem Kontext der Veranstaltung den Begriff „Bildungsbenachteiligung“ zu nutzen, da es Zugangsprobleme beträfe und nicht den Willen des einzelnen Kindes, des Menschen. Nach Ansicht des Erziehungswissenschaftlers wäre z.B. ein Schulsystem, das nicht nach der vierten Klasse aussortiert, gerechter und zielführender.

Melek Yildiz, die auch als Dozentin im Bereich „Alevitische Religionspädagogik bzw. Didaktik“ an der Pädagogischen Hochschule Weingarten als Dozentin arbeitet, machte auf die verschiedenen Angebote und Initiativen der Alevitischen Gemeinde Dortmund aufmerksam. Sie wies darauf hin, dass ein Cemhaus nicht nur aus einem sakralen Ort besteht, sondern auch Kultur und Bildung eine sehr große Rolle spielen. Das Streben nach Wissen und der Wissenserwerb sei in der alevitischen Lehre verankert und daher gibt es in der Alevitische Gemeinde Dortmund auch verschiedene Kurse und Angebote in den Bereichen Kultur und Bildung, wie z. B. Saz-, Theater- oder Nachhilfekurse und einen Leseclub. Der Leseclub, der in Kooperation mit der Stiftung Lesen und dem Kommunalen Integrationszentrum Dortmund eingerichtet wurde, wird von den Kindern der Gemeinde regelmäßig besucht. Die Kinder stammen unter anderem auch aus bildungsbenachteiligten Familien, die eine besondere Unterstützung benötigen, um den starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und persönlichem Bildungsweg abzuschwächen. Im Leseclub wird die Lesemotivation der Kinder gesteigert und ihre Lesekompetenzen ausgebaut, das wiederum wirkt sich positiv auf die schulischen Leistungen aus. Und wer lesen kann, der habe auch Chancen auf schulischen und beruflichen Erfolg.

Im Hinblick auf die Podiumsdiskussion und die verschiedenen Angebote regte die Schul- und Jugenddezernentin die Vernetzung der Alevitischen Gemeinde Dortmund u.a. mit den umliegenden Bildungseinrichtungen an. So könnten mehr Menschen erreicht werden, vor allem Eltern, denen die Angebote der Alevitischen Gemeinde Dortmund helfen könnten.

Güldilek Köylüoglu dankt den Podiumsdiskutanten und den ZuhörerInnen für die regen und wertvollen Diskussionsbeiträge. Die Veranstaltung habe viele Informationen und Impulse zur Bildungsgerechtigkeit oder Bildungsungerechtigkeit in Deutschland geliefert. Die Diskussion müsse und werde weitergehen, Chancengleichheit müsse geschaffen werden. Die Diskussion habe auch gezeigt, dass die Alevitische Gemeinde Dortmund bereits sehr aktiv in diesem Themenfeld ist und auch als Vorbild genutzt werden kann. U.a. kann die Dortmunder Gesellschaft von den vorhandenen Strukturen, den Angeboten und dem Potenzial der Alevitischen Gemeinde Dortmund profitieren. Schon deshalb sei es lohnend, an der Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Migrantenorganisationen, Bildungseinrichtungen, der Öffentlichkeit, den Kommunen, der Politik, aber auch der Wirtschaft zu arbeiten.

Sie dankte zusätzlich allen, die zum Gelingen der Veranstaltung, aber auch der Jubiläumswoche beigetragen haben. Anschließend wurde zu anatolischen Häppchen eingeladen, bei der die Teilnehmer den Gedankenaustausch und die Vernetzung untereinander fortführen konnten.